Vierter Tag: Überraschungen auf dem Weg nach Tromsø

Ich bin bereits viel gereist, Thomas auch, aber derartiges hatten wir noch nicht erlebt. Außergewöhnliche Überraschungen beim Wetter, beim Autofahren, beim Hotel Auffinden und beim Einchecken. Aber eines nach dem anderen.

Es sollte für uns rund 500 Kilometer weiter in den Norden bis kurz vor Tromsø gehen – haben wir wenigstens gedacht. Der Wecker hatte um 6.30 Uhr geklingelt. Holzscheite wandern wie jeden Morgen als erstes in den Ofen. Das Wasser im großen alten Kessel auf dem Ofen ist noch schön heiß. Vermengt mit kaltem Wasser in einen großen Eimer wird die Pumpe reingelegt und angestellt. Ab in die Hüttendusche. Die kann ich gar nicht oft genug erwähnen, so begeistert bin ich, auch wenn der Aufwand für 5 Minuten Dusche beträchtliche 15 MinutenOrganisation benötigt. Frisch geduscht komme ich aus dem Bad. Kein Kaffeeduft, keine Pfannkuchen. Thomas? Thoooomas??? Ein Blick aus der Hütte verschafft Klarheit, er steht mal wieder auf dem Fjord, den Fotoapparat vor dem Gesicht.


Jeder bekommt, was er braucht. Ich die Dusche, Thomas tolles Morgenlicht und eine aufgehende Sonne im Südosten. Mit diesem phantastischen Wetter hatte der Tag begonnen.

Ich packe meine Klamotten im Badezimmer zusammen und komme wieder in das Wohnzimmer zurück. Thomas schmiert sich Stullen. Ich frage, „keine Pfannkuchen?“ Nein. Ooooch! Nun gut, schlage ich also Rührei vor. Auch eins? „Äh, du hast die Uhr im Blick?“, sagt er. Die Fähre geht um 9 Uhr. Wir benötigen 20 Minuten von der Hütte zu ihr. Es ist 7.15 Uhr. Aber Zeit für Fotos am Morgen ist ja, oder was? Ich mache mir also trotzdem ein Rührei. Um 8.20 Uhr sitzen wir im Auto mit Sack und Pack. Ich bin satt, und Thomas ist glücklich, trotzdem noch genügend Zeit für vorbeikommende Fotomotive zu haben.


Soweit der Morgen. Was dann kommt lässt sich nur als Abenteuer beschreiben. Ich sage nur „etwas Schnee“ ist gar nichts. Das, was kam, war ein veritabler Schneesturm. Terje hatte mit seinen Warnungen mehr als recht. Wir hatten ja keine Ahnung! Im Schneckentempo geht es voran. Ein Räumfahrzeug fährt uns entgegen. Dann: Null Sicht. Die Scheibenwischer schaffen es nicht mehr. Überhaupt können wir von Glück reden, wenn wir 10 Meter weit sehen können. Die Straßen sind einfach nur noch weiß. Glücklicherweise sind Spikes aufgezogen. Sonst ginge gar nichts mehr.

Unser Hotel Senjagården in Gibostad soll rund 60 Kilometer von Tromsö entfernt liegen. Das schreibt das Hotel. Wir müssen laut der vom Hotel übermittelten Lagekarte nur eine Abzweigung vorher abbiegen. Zum Spaß frage ich aber doch nochmal über google Maps nach – was für ein Glück, dass wir in dieser Einöde überhaupt Empfang haben. 180 Kilometer werden ausgespuckt??? Das kann doch nicht wahr sein. Was schreiben die Hotelleute für einen Mist. Von wegen. Es stimmt. Aber: Es ist eine Route über eine Fähre. Für uns bedeutet die Neuigkeit plötzlich viel mehr Kilometer als gedacht. In völliger Konfusion ob der Entfernungen waren wir bereits 30 Kilometer am  Hotel vorbei. Und dann noch dieses Schneetreiben. Das zehrt an unseren Nerven. Und es wurde auch noch dunkel. Aber so richtig dunkel um uns. Schwarz.

Völlig mit den Nerven runter kommen wir in dem Örtchen Gibostad auf der Insel Senja an. Wo aber ist das Hotel. Da sollte doch ein Weg vor dem Ortseingang rechts abgehen? Wir fahren den Weg vier Mal hoch und vier Mal herunter. Da ist kein Weg. Verflucht. Und die Sicht ist immer noch übel. Ein kurzes aufklaren. Oberhalb des Hanges entdecken wir dann doch das Hotel. Alles ist dunkel und eine Straße nicht in Sicht. Doch dann sehen wir eine weiße Fläche zwischen zwei Zäunen. Könnte das ein Weg sein? Thomas hält an. Ich stiefel los. Tatsächlich, es ist ein Weg. Jedoch derart zugeschneit. Wie sollen wir da bergauf kommen? Kurz, es klappte. Irgendwie. Spikes sei dank.

Das war also geschafft. Wir gingen ins Hotel Senjagården. Offene Türen. Offene Zimmer. Offenes Restaurant. Das Licht funktioniert. Der Fernseher. Das Wasser ist warm. Aber kein Mensch weit und breit! Alles irgendwie unheimlich. Shining lässt grüßen. Wir entdecken eine Nachtklingel. Kein Mensch reagiert. Wir rufen die Telefonnummer des Hotels an. „Bitte hinterlassen sie eine Nachricht!“, kommt auf norwegisch durch das Telefon. Wir schauen aus dem Fenster. Das Schneetreiben nimmt wieder zu. Wir recherchieren nochmal im Internet. Norwegische Datenflat sei dank.

So vergeht eine halbe Stunde in der wir uns entscheiden, zu einem einsamen Haus unterhalb des Hotels zu gehen. Dort machen uns zwei völlig verschüchterte und verängstigte junge Norwegerinnen die Tür auf, denn wir stromerten zunächst um das Haus herum, auf der Suche nach dem Eingang und klopfen erst dann. Tatsächlich, sie kannten die Chefin des Hauses und sie konnten für uns anrufen. Ohne Erfolg. Aber just in diesem Moment: Mein Telefon klingelt. Es ist tatsächlich die Chefin: Sie habe vor einigen Tagen ihr Baby zur Welt gebracht und der Herr, der sich um uns kümmern sollte, liegt im Krankenhaus in Tromsø. Unfall. Wir beschreiben die Lage. „Suchen sie sich ein offenes Zimmer aus!“ Wir nehmen das Appartement. Mit eigener Küche. Uff, wir brauchen nicht verhungern und können unser mitgebrachtes Essen zubereiten. Was für ein Luxus. Eigentlich hatten wir ein Doppelzimmer gebucht.


Draußen stürmt es wieder. Der Wagen wird morgen, wenn das so weiter geht, eingeschneit sein. Wir sind gespannt, ob und wie wir es wohl noch nach Tromsø schaffen werden. Wir wissen jetzt wirklich, reisen in Norwegen im Winter ist speziell, ein Abenteuer und immer überraschend. Mein Onkel hatte recht, mehr als das.

Text bt, Fotos ts