Neunter Tag: Verwandtschaftspflege und Abschied

Viel Kaffee trinken wir in Bodø an unserem letzten Tag. Für mich gibt es das volle Familienprogramm, für Thomas einen kleinen Rundgang. Dann heißt es Hade Bra Norwegen und Willkommen Deutschland. Und am Ende wird ein neuer Plan gefasst.

Wir treffen uns mit meiner Cousine Ine in einem Café in der Nähe ihres Hauses zum lunsj (Mahlzeit zwischen Frühstück und Mittagessen). Das Café befindet sich in der ehemaligen Landwirtschaftsschule, die zuvor ein Gutshof war und heute ein Kulturzentrum ist. Beiläufig sage ich zu Thomas, dass mein Onkel hier Lehrer war und in dem Gutshaus wohnte. Ein Stockwerk höher saß ich vor 30 Jahren und pulte einen Kübel Reker (Atlantikkrabben), um sie auf Weißbrot mit Majo zu essen, eine hiesige Spezialität, die wir dieses Mal auslassen mussten. Das ist Anlass für uns, über den Umgang von Norwegern mit Verwandtschaftsverhältnissen zu sprechen. In einem Spotlight erzähle ich ein wenig mehr „Von Verwandtschaftsverhältnissen in Nordnorwegen“.

Das Café ist übrigens sehr schön und hier einen Tipp wert , falls jemand mal dort vorbeikommen sollte (Der Link ist leider Stand 2018 tot). Den Filterkaffee gibt es als påfyll (Nachschenken) bis zum Abwinken. Das ist eine typisch skandinavische sympathische Eigenart. Da aber auch in Norwegen immer mehr alle möglichen Varianten von Café und Espressomaschinen Einzug finden, gibt es påfyll immer weniger.

Zum ersten Mal auf dieser Reise gehen Thomas und ich dann einmal getrennte Wege. Mein weiterer Weg führt mich zwecks Verwandtschaftspflege zu einem Kurzbesuch zu meiner Tante Rigmor. Meine Tante spricht nur Norwegisch – kein Vergnügen für jemanden der nichts versteht. Thomas erkundet also statt dessen noch ein wenig die Gegend für letzte Fotomotive. Sein Weg führt ihn zum Fjord und direkt zum Flughafen. Ich kenne in Deutschland wirklich keinen Ort, wo wir zu Fuß zum Flugplatz gehen könnten.

Für mich gibt es bei meiner Tante natürlich Kaffee mit Kuchen. Danach bringe ich noch den Mietwagen weg.

Ein letztes nettes Familientreffen findet abschließend am Flughafen mit meiner Cousine Therese statt. Tja, und dann soll unser Flieger um 15.10 Uhr starten. Aber erst müssen noch einige Jagdflieger landen. Bodø ist auch ein Militärflughafen.

Am Abend landen wir in KölnBonn. Es erwarten uns -6 Grad und Schnee. Wegen des Winterwetters hätten wir bestimmt nicht nach Nordnorwegen fliegen müssen, stellen wir fest. Nach so einer erlebnisreichen Reise lassen wir uns von einer vereisten Weiche in Köln Deutz, wegen der wir die S-Bahn verlassen müssen, nicht aus der Ruhe bringen. Wir sollen den Bahnsteig wechseln. Dort angekommen, sehen wir wie die S-Bahn dann doch abfährt. Willkommen in Köln.

Und unser neuer Plan? Der lautet: Nordnorwegen, wir kommen im Winter wieder. Dann soll es von Hillingan aus auf die Lofoten gehen. Wir wollen das Nordlicht wiedersehen und nicht nur das.

Text bt, Fotos ts



Von Verwandtschaftsverhältnissen in Nordnorwegen

Wenn sich untereinander unbekannte Norweger treffen, schwebt unweigerlich die Frage im Raum, „könntest Du mit mir verwandt sein, und woher kommst Du?“


Im „Fylke“ Nordland verteilen sich gerade einmal 250.000 Menschen auf sagenhaften 38.500 Quadratkilometern. Das sind sechs Menschen auf einem Quadratkilometer. Bei so einer geringen Bevölkerungsdichte ist die Chance sehr groß, wenn auch nur über drei Ecken, miteinander verwandt zu sein.

Auch ich habe in diesem Blog oft von meiner Familie berichtet. In Bodø, der Hauptstadt Nordlands, unserem Start- und Zielort in Nordnorwegen, finden sich unter seinen 46.000 Einwohnern mittlerweile einige meiner rund 50 Verwandten.

Aufgewachsen sind viele im heutigen 200 Seelen-Dörfchen Innhavet beziehungsweise auf der Halbinsel Hillingan mit seinen drei Gutshöfen. Landflucht ist auch in Norwegen ein Thema. Während wir durch die vielen kleinen Ortschaften in Nordnorwegen fuhren, fielen uns immer wieder verlassene Häuser und Höfe auf.

Auch meine Familie hat den kleinen Hof Hillingan Ende der 70er Jahre verlassen. Jetzt stehen da fünf Hütten. Und das alte Hofhaus wird von einer meiner Cousinen als Wochenendhaus genutzt.

Einst kamen arme Bauern aus den Süden in den hohen Norden, um hier oben sesshaft zu werden. Auch unsere nordische Familie hat im Süden Ahnen, sogar in Deutschland. Die frühesten Siedler im hohen Norden waren jedoch die Sami, auch Lappen genannt, die sicher auch in unserer Familie ihre Spuren hinterlassen haben.

So lässt sich aus der Geschichte meiner Familie durchaus etwas von den Wanderbewegungen der Norweger ablesen.

Text bt, Foto ts


Erster Tag: Ankommen

Zum Ankommen in Norwegen gehört für mich, die Verwandten zu begrüßen und alles für den Aufenthalt vor Ort zu organisieren.

Der Mann meiner Cousine wartet am Flughafen. Ohne fahrbaren Untersatz ist jeder in Nordnorwegen aufgeschmissen. Von ihm bekommen wir unser Auto. Er verleiht Autos, keine nagelneuen, nein „Wrecks“. Nein, ein Wrack ist unser Opel Astra Kombi nicht. Aber es ist auch nicht das neueste Modell.

Die Firma hat Freddy mittlerweile übrigens an einen Kumpel verkauft. Den uns versprochenen Tarif aber gleich mit. Meine Revanche: www.rent-a-wreck.no 🙂 2.000 Kilometer wollen wir fahren, bis nach Tromsö und noch ein Stück dahinter. Einen weiteren Verwandten besuchen. Nordlicht jagen.


Freddys Auto fährt uns sicher zum Einkaufen und die ersten 170 Kilometer bis zu unserer Hütte am Fjord. Dort können wir nichts einkaufen. Die Hütte gehört meiner Mutter. Wir könnten auch woanders hinfahren. In ein Hotel. 150 Euro die Nacht für ein einfaches Zimmer. Nach Alta nochmal 1.000 Kilometer in den Norden, wo die Chance auf Nordlicht noch viel höher wäre. Aber wir fahren auf die Hütte.

Die kleine Sandpiste zur Hütte ist völlig vereist. Schnee liegt keiner. Im Autodisplay werden -9 Grad angezeigt. Die Hütte wird saukalt sein. Ich nehme den Schlüssel und will ihn im umdrehen. Aber die Tür ist bereits auf? In der Hütte bollert der Ofen. Ich schaue auf den zugeeisten Fjord und bin irritiert. Von links ertönen Rufe. „Hei, hei!“ Mein Onkel und seine Frau winken fröhlich. Kuchen und norwegische süße Spezialitäten stehen plötzlich auf dem Tisch. „Kos doccer“(macht es euch gemütlich), sagen sie und sind weg.

Verwandte zu treffen, das ist ein schöne Sache!

Ja, und das Nordlicht, das hätten sie Gestern schon wieder hier über dem begehbaren zugefrorenen Fjord gesehen.

Ja, und heute Nacht soll es wieder kommen. Wir sind um 0.30 Uhr also auf den zugefrorenen Fjord. Die Nacht am Flughafen war ja auch schon so kurz. Also los. Es muss gerade Flut sein unter dem dicken Eis. Es knackt und kracht. Wir sehen zu, Land zu gewinnen. Soll das Eis doch so begehbar sein, wie es will.

Ein waberndes grünes Licht zeigt sich dann tatsächlich in der Ferne. Oder doch nicht. Wir sind unsicher. Ja, nein, ja … Die Füße werden kalt. Zurück in die Hütte. Dieses mal eiern wir nur landseitig über den vereisten Strand. Morgen ist auch noch ein Tag.

Text bt, Fotos ts