Achter Tag: Ha det bra Hillingan (mach’s gut Hillingan)

Ein erster Abschied und eine letzte Autofahrt bestimmen unseren vorletzten Tag in Nordnorwegen. So langsam geht unsere Reise zu Ende. Was soll nach dieser spektakulären Nacht mit dem nordlys (Nordlicht) eigentlich noch kommen?

Die Hütte auf der Halbinsel Hillingan zu verlassen, bedeutet durchaus Arbeit. Unsere Basis-Station für die letzten Tage soll schließlich wieder ordentlich aussehen für den nächsten Gast. Meine Mutter kommt im Mai. Einen halben Tag muss ich immer für das Aufräumen einplanen. Also heißt das für uns wieder einmal Früh aufzustehen.

Ich lege innen los. Thomas bringt die ersten Sachen raus. Nach einer Weile mache ich mir Sorgen, wo er denn bleibt. In den letzten Tagen ist ja einiges passiert. Ich schaue von der Terrasse aus um die Ecke. Eine Elchkuh steht in fünf Meter Entfernung. Die Windrichtung muss in Richtung Thomas gehen. Der Elch sieht nicht gut, dafür riecht er umso besser. Thomas kann er nicht gerochen haben. Thomas wirkt völlig gebannt. Der Elch wirkt irritiert. Ich Rufe ihm ganz leise zu, ob er seine Kamera will. Was für eine Frage. Das ist wirklich das volle Nordnorwegenprogramm.

Der Weg in Richtung Bodø, von wo am nächsten Morgen unser Flieger abhebt, kommt uns mittlerweile unspektakulär vor. Gut, unser Benzin steht auf rot. Tankstellen gibt es in Nordnorwegen nicht an jeder Ecke. Aber das ist für mich kein Grund für Herzpochen. Ich kenne diese Strecke, und weiß, wann die nächste kommt. Ich muss sie jedes Mal fahren, wenn ich zur Hütte will. Die Tankstelle ist jedoch verlassen. Es ist eben Winter und nicht Sommer. Aber ein Terminal akzeptiert Kreditkarten. Ich stecke meine rein und werde zur Eingabe eines Pincode aufgefordert. Meine Kreditkarte hat keine. Herzrasen. Bis Fauske sind es noch zirka 50 Kilometer. Ok, das musste jetzt nicht sein. In Fauske angekommen, waren im Tank höchstens noch zwei Liter.

Unser letzter Schlafort ist bei meiner Cousine Ine, ihrem Mann Rune und ihren drei Kindern Astrid, Inger und Knut in Bodø. Wir kommen sogar im akademischen Viertel, 15 Minuten nach der vollen Zeit, an. Der Abend wird bei leckerem Bacalhau in Tomaten, Zwiebeln und Paprika wieder einmal sehr koselig (gemütlich).

Bacalhau, getrockneter Dorsch, ist eine norwegische Spezialität von den Lofoten, der immer noch ein Exportschlager nach Portugal ist. Wer einmal auf die Lofoten fährt oder dort war, wird diese Spezialität an Stangen aufgehängt überall gesehen haben. Der Geruch ist in den ersten Wochen speziell, der Geschmack aber am Ende phantastisch, wenn er im Tomatensud langsam wieder Flüssigkeit zieht – finde ich. Manche essen ihn auch ungekocht. Das ist dann aber wirklich gewöhnungsbedürftig. Nach Fiskeboller und Elch haben wir auch kulinarisch das volle Norwegenprogramm bekommen. Tusen takk for maten (Herzlichen Dank für das Essen)!

Text bt, Fotos ts


Siebter Tag: ut på tur … aldrig sur

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Ut på tur … aldrig sur (frei übersetzt: Bist du auf Tour, bist du immer bester Stimmung), das war unser heutiges Tagesmotto. Nach dem gestrigen Tag durfte eine kleine entspannte Wanderung einfach auch mal sein.

Der Norweger geht gerne in die Natur für eine kleine oder große Wanderung. Dieser allgemeine Satz stimmt auf jeden Fall für meine norwegische Familie. Jedes Mal, wenn ich hier oben bin, gehört auch eine Wanderung mit Terje und Mary-Astrid dazu. Ich kann mich jedenfalls nicht anders erinnern.

Während wir wieder einmal leckeren Pfannkuchen von Thomas mit Syltetøy (direkt übersetzt, hieße das Hungerspielzeug, es ist aber schlicht Marmelade) und Seter Rømme (dafür gibt es in Deutschland geschmacklich nichts vergleichbares, höchsten Schmand könnte dem etwas nahe kommen) essen, chatte ich mit Mary-Astrid über facebook, dass wir gegen 10.30 Uhr bei ihnen sind.

Nach der kurzen Nacht kommt dieses mal Thomas nicht so richtig in die Gänge. Das ist mir ein Fest! Ich bin ja nicht nachtragend. Jetzt lasse ich ihn leiden. Meine sonst so übliche Morgenmuffeligkeit ist wie weggeblasen. Es wird 11 Uhr bis zu unserem Start. Nun gut, Norweger sind mir ja nicht für Pünktlichkeit in Erinnerung (siehe auch das Spotlight zum Wandern mit Norwegern).

Wir schaffen es, uns gerade einmal 50 Meter von der Hütte zu entfernen, da kommt uns Terje mit seinem Wagen entgegen, um zu schauen, wo wir denn bleiben. Das ist nach dem gestrigen Erlebnis mit uns nachvollziehbar. Wir entschuldigen uns. „Ihr macht die norwegische Art“, kommt es augenzwinkernd zurück. Aber wir haben keinen Sommer, sondern Winter und da sind die Tage verdammt kurz und gutes Wetter rar. Wir lassen unser Auto stehen und fahren mit seinem Auto gemeinsam schnell weiter zu unserem Startpunkt auf Finnøya.


Von einem einsamen, verlassenen Gutshof aus geht es los. Wir wandern durch die Schneelandschaft über zugefrorene Seen und Moore. Einen Weg gibt es nicht. Es gibt nur eine Richtung, oder das Wissen, wir müssen über einen See links oder rechts, oder wir folgen Strommasten. Das Ziel soll mit weißen Bändern „ausgeschildert“ sein; ausgerechnet im Winter, wer soll das denn finden, unken wir. Terje und Mary-Astrid finden sie. Das Ziel bei Wanderungen in Nordnorwegen ist gerne eine Bergkuppe oder eine markante Aussicht. Wir könnten eine schöne Aussicht Richtung Hamarøyskaftet, dem Wahrzeichen der gleichnamigen Kommune, haben, wenn die tief hängenden Wolken nicht wären.

Wir machen es uns dennoch gemütlich. Alte Zweige werden abgebrochen. Kurze Zeit später brennt das Feuer und die pølse (Grillwürstchen, so wie wir sie von IKEA kennen, nur eben speziell fürs offene Feuer) stecken an unseren Stangen. Ich passe auf, dass meine nicht verkohlt, was gar nicht einfach ist. Natürlich fällt die erste ins Feuer – ok, dann eben doch mit Kohle. Dazu gibt es über dem Feuer aufgebrühten Kaffee in einer verkohlten Blechkanne. Eine solche Kanne hat hier jeder. Je verkohlter, desto besser. Alles ist irgendwie nochmal so lecker. Wir bekommen das volle Norwegen-Programm. Und auch der Himmel klart auf. Postkartenmotiv. Zumindest das Panorama. „So ist das Leben in Nordnorwegen“, sagt Terje auf deutsch.

Nach einer guten Stunde Rückwanderung sind Thomas und ich glücklich. So hatten wir uns das gewünscht. „Takk for tur!“ (Danke für die Wanderung; diese Redewendung gehört sich in Norwegen einfach), „Selv takk“ (Direkt übersetzt: selbst Danke) , kommt es umgehend zurück. So wird in Norwegen eine Tour ordentlich beendet. Ich finde diesen Brauch schön. Den Abend lassen wir mit in Narvik gekauften, richtig guten, frischen Seelachs ausklingen.

„Tja, und das Nordlicht?“, fragt sich vielleicht der eine oder andere. Das ist uns auf dieser Reise wohl nicht vergönnt. Auch in dieser Nacht schneit es. Morgen geht es zurück nach Bodø. Das Abenteuer neigt sich dem Ende zu.


Sechster Tag: Drama und ein gutes Ende

Text bt, Fotos ts

Es gibt Drama, Baby. Als ich diese Worte schrieb, wusste ich noch nicht, wie vieldeutig das sein würde.

Der Morgen beginnt mit einem Schwätzchen bei strahlendem Sonnenschein. Genau richtig für unsere Rundtour auf der nordnorwegischen Insel Senja. Um 7.30 Uhr kommt ein Trecker mit einer Schneefräse den Hotelweg hoch und wirbelt reichlich Schnee an den Wegesrand. Er hält neben unserem Wagen. „Tjør du på job?“ (Fährst du zur Arbeit?) Naja, denke ich bei mir. Unser Blog macht durchaus Arbeit. Thomas will die Schneeketten vom Traktor haben. „45 Kilo. Die sind zu schwer für euren Wagen“, kommt es lakonisch zurück. Hätten wir aber gut gebrauchen können.


Wir fahren ohne Schneeketten los. Sind ja Spikes, die Reifen. Verflixt, der Himmel zieht plötzlich zu. Wir sehen die Hand kaum vor unseren Augen, geschweige denn das in den Reiseführern angekündigte phantastische Panorama. Wir müssen über einen Pass, der fast zugeschneit ist. Wenn die Stangen links und rechts nicht zu sehen wären, wüssten wir nicht, wo es lang ginge.

Wir kommen am Fjord an. Nichts ist zu sehen. Wir steigen an einer Lachsfarm dennoch aus und Thomas fotografiert das, was halt zu sehen ist: Schnee. Und dann kommt das Drama innerhalb von 10 Minuten. Die Wolken steigen immer Höher. Auf der einen Seite schneit es, auf der anderen zeigt sich erst ein blauer kleiner Flecken, dann die Sonne und dann der erste Berg. Das Panorama, das dann von den Wolken frei gegeben wird, verschlägt uns schlicht die Sprache. Drama, Baby! Der Fjord wird von steilen Bergen eingerahmt und will gar nicht enden. Überwältigend und berauschend, dieser Wechsel.

Völlig berauscht fahre ich weiter. Wir haben ja Spikes am Auto, was kostet die Welt. Eine Sekunde lang unvorsichtig – nun gut, ich fahre durchaus gerne zügig. Eine Kurve. Der Wagen schlingert gefährlich. Das Herz rutscht sonst wohin. Zack, das Heck detscht in die Leitplanke. Hin und her. Aber kein Gegenverkehr, und wir kommen zum Stehen. Drama, Baby! Puh. Blechschaden. Jetzt nur ganz ruhig Richtung Hütte zurück. Schließlich sind wir bei meiner Tante zum Essen eingeladen. Das wollen wir doch gerne noch erleben.

Aber unser Dramakonto ist anscheinend nicht genug gefüllt für diesen Tag. Unsere Fähre um 18 Uhr über den Tysfjord ab Kjøpsvik verpassen wir um drei Minuten. Wir sehen sie noch aus dem Hafen fahren. Auf dem Weg zu einer anderen Fähre ab Drag in 50 Kilometer Entfernung bietet sich aber DAS Foto: Der Berg Stetind, ein norwegisches Naturdenkmal, im Abendlicht. Hat sich ja doch irgendwie gelohnt.

Die andere Fähre um 19.10 Uhr erreichen wir dann pünktlich. Über den Tysfjord gibt es keine andere Möglichkeit als eine Fähre. Der Fjord ist bis zu 1.000 Meter tief und er geht bis 5 Kilometer vor Schwedens Grenze. Den kann man nicht umfahren, mit einer Brücke überbauen oder mit einem Tunnel unter der Erde durchfahren. Eine gute Stunde später kommen wir endlich in Innhavet an. Dort wartet bei meinem Onkel Terje und meiner Tante Mary-Astrid Elchgeschnetzeltes auf uns. Das schmeckt vorzüglich. Wir haben eine Menge zu erzählen. Ja, reisen im Winter ist hier eine echte Herausforderung, sind wir uns einig. Der Abend wird veldig koselig (sehr gemütlich).

In der Hütte erwartet uns dann das letzte kleine Drama. Aber im Vergleich zu allem Vorherigen ein wirklich kleines. Die Hütte muss von -5 Grad auf eine erträgliche Temperatur hochgeheizt werden, damit wir am nächsten Tag wieder lebend aufwachen. Um 3 Uhr fallen wir tot aber glücklich ins Bett. Genug Drama. Morgen wartet eine Wandertour mit Mary-Astrid und Terje auf uns. Start ist gegen 10 Uhr. Eigentlich machbar.